Ein Mädchen mit dunklen, lockigen Haaren liegt auf dem Bett. Um sie herum befinden sich mehrere aufgeschlagene Bücher. In eines davon schreibt sie konzentriert. Das Bild ist von schräg oben aufgenommen.
Essay Politik

Wie der Distanzunterricht eine echte Chance sein könnte

Distanzunterricht. Dieses Wort wirft bei Politikern Fragen auf, lässt Lehrer verzweifeln und führt bei Eltern zu einem halben Nervenzusammenbruch. Viele Schüler:innen fühlen sich abgeschlagen und soziale Unterschiede werden schonungslos hervorgehoben.

Vieles läuft nicht gut. Das hören wir immer wieder. Oder erleben es, wie ich als Schülerin der 12. Klasse, tagtäglich selbst mit.

Es gibt viele Probleme und ungelöste Fragen. Glaubt mir, ich weiß das sehr gut! Wir alle wünschten es wäre anders.

Trotzdem habe ich in diesen ganzen Monaten auch Positives durchschimmern sehen. Es gab Stunden, manchmal Tage, in denen ich mich wirklich gut gefühlt habe mit dem Distanzunterricht. Und mittlerweile sehe ich darin sogar Chancen. Potenzial, das wir nutzen könnten und sollten, wenn wir uns nun leider zwangsläufig in dieser Situation befinden.

Der Distanzunterricht könnte Türen für das Lernen öffnen. Ich sehe Chancen in dieser Situation. Und das hier sind einige davon:

Vieles davon bezieht sich eher auf die älteren Klassenstufen. Für junge Kinder und deren Eltern ist das nochmal eine ganz andere Situation.

Eigenes Lerntempo fördern

Der Distanzunterricht bietet Schüler:innen die einmalige Chance, ganz in ihrem eigenen Tempo zu lernen. Mehr Zeit mit den Fächern zu verbringen, für die sie die Zeit brauchen oder auch wollen! Und dafür vielleicht andere Aufgaben schneller zu bearbeiten. Außerdem können sie zu der Uhrzeit arbeiten, die ihnen am besten passt. Jeder Mensch hat seine Konzentrationsphasen zu einer anderen Zeit, die nicht unbedingt von 8 Uhr bis um 13 Uhr reicht. Innerhalb des Distanzunterrichts könnte man seinen eigenen Zeitplan verfolgen.

Das ist für viele Schüler:innen nicht einfach, weil sie es nicht gewohnt sind. Deswegen sind feste Termine, wie Videokonferenzen, in regelmäßigen Abständen hilfreich, um dafür zu sorgen, dass die Schüler:innen den Anschluss nicht verlieren.

Insgesamt sollte die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung aber mehr gefördert werden – zumindest in den älteren Jahrgangsstufen. Es wird immer versucht möglichst einen Schulrhythmus herzustellen. Für manche mag das auch gut sein. Aber ist das wirklich der beste Weg in dieser Situation?

Ich finde, wenn wir schon Mal die einzigartige Situation haben, dass Schüler:innen selbst entscheiden können, wann sie „zur Schule gehen wollen“, dann sollten wir ihnen diese Chance auch geben!

Wie könnte das konkret aussehen? Arbeitsaufträge, die die Schüler:innen zu einem Zeitpunkt bearbeiten können, der ihnen passt. Die ein oder andere Aufgabe muss abgegeben werden, um zu prüfen, dass die Aufgaben auch wirklich gemacht werden, und um den Schüler:innen gleichzeitig zu vermitteln, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert. Eine Deadline erachte ich dabei auch für wichtig, aber diese sollte ein paar Tage Spielraum lassen.

Chance für mehr individuelle Korrektur

Gerade für Fächer, in denen das Schreiben von Texten wichtig ist, bietet der Distanzunterricht eine enorme Chance! Einen Aufsatz oder ähnliches kann man ohnehin häufig besser von Zuhause aus schreiben. Zusätzlich sind schriftliche Aufgaben im Distanzunterricht sowieso leichter umzusetzen als mündliche. Warum diesen Umstand nicht als Chance nutzen?

Lehrer:innen können wunderbar Textproduktionen in die Arbeitsaufträge einbauen oder einfach bearbeitete Aufgaben einsammeln und den Schüler:innen individuelles Feedback geben.

So bekommt man als Schüler:in mehr korrigierte Texte und die Lehrer:innen können gleichzeitig sehen, was Zuhause gearbeitet wird.

Ich habe beispielsweise eine Lehrerin (Fremdsprache), die das sehr gut macht. Wir schreiben innerhalb unserer Arbeitsaufträge oft Kommentare, Mediationen oder geben einfach irgendeine andere Aufgabe schriftlich ab. Innerhalb von ein paar Tagen bekommen wir die Korrektur zurück. Ich hatte noch nie so viele korrigierte und kommentierte Texte wie dieses Jahr! Damit kann man seine Schriftsprache am sinnvollsten und effektivsten verbessern und die Lehrer:innen können individuell auf die Stärken und Schwächen der jeweiligen Person eingehen. Warum wird diese Chance nicht mehr genutzt?

Auswahl an Lernmethoden anbieten

In der Schule werden die Lernmethoden meist der Mehrheit angepasst. Wenn die meisten Schüler:innen Gruppenarbeiten mögen, werden mehr davon eingebunden, es wird über Referat oder schriftlichen Text abgestimmt und die Anforderungen den durchschnittlichen Kenntnissen angepasst. Das ist im Präsenzunterricht auch kaum anders lösbar und muss auch nicht schlecht sein.

Doch der Distanzunterricht bietet nun die einmalige Möglichkeit verschiedene Lernmethoden gleichwertig anzubieten.

Was ich damit meine? Man könnte es den Schülern zum Beispiel freistellen, ob sie eine Aufgabe schriftlich abgeben möchten oder lieber ein Audio aufnehmen. Oder ob sie lieber die Vokabel- oder die Grammatikaufgabe bearbeiten wollen.

Denn, was im Distanzunterricht zusätzlich wegfällt, ist der Gruppendruck. Es gibt immer wieder Lehrer:innen, die im Präsenzunterricht versuchen unterschiedliche Aufgabenstellungen und Lernmethoden zur Wahl zu stellen, mit dem Auftrag, jede:r solle sich aussuchen was und wie er/ sie persönlich arbeiten will. Letztendlich machen aber doch fast alle das gleiche.

Das liegt am Gruppendruck. Wenn du (scheinbar) die einzige Person bist, die die Aufgabe lieber alleine als in Gruppenarbeit erledigen will, wirst du am Ende höchstwahrscheinlich trotzdem in eine Gruppe gehen, weil du nicht der/die Einzige:r sein möchtest, der/ die es anders macht.

Im Distanzunterricht fällt dieser Gruppendruck weg und die Schüler entscheiden sich viel eher für das, was sie aus sich selbst heraus wählen würden.

Schüler:innen lernen zu Lernen

Alle reden darüber, dass die Schüler:innen in der Schule nicht gelernt haben selbstständig zu lernen. Aber anstatt sich nur darüber zu beschweren, wäre jetzt eine Chance das zu ändern. Wenn man die Schüler:innen richtig anleitet, hätten sie im Distanzunterricht wunderbare Möglichkeiten ihr eigenes Lernverhalten besser kennen zu lernen und verschiedenes auszuprobieren.

Zu welcher Uhrzeit kann ich mich am besten konzentrieren? Lese ich lieber oder muss ich es hören? Wann brauche ich Pausen und wie viele? Muss ich mit anderen Menschen darüber sprechen oder kann ich sogar besser alleine in Ruhe lernen?

Diese Fragen beantworten zu können, würde ihnen nicht nur zukünftig in der Schule, sondern ihr ganzes Leben lang helfen. Der Distanzunterricht bietet die Chance sich dahingehend auszuprobieren. Und herauszufinden, was für einen persönlich gut funktioniert!

Der Distanzunterricht wird niemals so sein, wie Präsenzunterricht mit Lehrer und Klassenkameraden in der Schule. Aber wir befinden uns nun mal aktuell in dieser Situation und ich finde, da sollten wir wenigstens versuchen – wo möglich – das Beste herauszuholen. Und wenn es Chancen gibt, dieser verzwickten Lage etwas positives abzugewinnen, sollten wir alles daran setzen diese zu nutzen! Und dafür sind alle Beteiligten gefragt: Schüler:innen, Lehrer:innen, Eltern und die Politik!


Foto von RF._.studio über Pexels; Social Media @rf._.studio

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