Eine junge Frau lieg auf einem Ast, der über ein Gewässer ragt. Ihre schwarzen Haare hängen nach unten. Sie trägt ein Kleid und Gummistiefel. Auf ihrem Gesicht liegt ein Buch. Sie wirkt erschöpft.
Intros und Extros

Warum Ruhepausen für Intros so wichtig sind – Überstimulation und Shutdown

Introvertierte Menschen brauchen viel Ruhe und Zeit für sich allein. Aber warum ist das so? Und was passiert, wenn sie diese Zeit nicht bekommen?

Erst Mal ist es wichtig das Grundgerüst der Introversion zu verstehen. Intros legen ihren Fokus vor allem, auf ihre innere Welt, ihre Gefühle und Gedanken. Die Bedeutung von Ereignissen steht im Vordergrund. Dabei nimmt ihr Gehirn viele Eindrücke auf und achtet auch auf kleinste Details, die dann anschließend analysiert werden.

Intros wirken nach außen hin oft sehr ruhig, als könne sie nichts erschüttern. Innerlich fühlen sie sich aber ganz und gar nicht so. Introvertierte haben oft eine ausgeprägte Gedankenwelt und reagieren sensibel auf Eindrücke von innen und außen.

Sie filtern ihre Eindrücke weniger als die meisten extrovertierten Menschen. Sie nehmen sehr viel wahr, ihr Gehirn sortiert wenig aus. So bemerken sie auch Kleinigkeiten, die einem Extrovertierten vielleicht entgangen wären, weil das Extro-Gehirn sie gleich als irrelevant aussortiert hätte. Im Gegenzug kommen aber auch viele, viele Informationen an, die jetzt noch sortiert und verarbeitet werden müssen.

Was im Kopf eines Introvertierten vorgeht

Ich stelle mir das vor, wie Päckchen in verschiedenen Größen und Formen, die in einem Postverteilungszentrum eintreffen. Sie müssen alle registriert, sortiert, gelagert und an die richtigen Orte weiterverschickt werden.

Es gibt Zeiten, in denen sehr viele Päckchen eintreffen und die Arbeiter besonders schnell arbeiten müssen. Dafür können sie sich in ruhigeren Tagesabschnitten erholen und übrig gebliebene Stapel abarbeiten.

Diese ruhigeren Tagesabschnitte sind meistens die, in denen die introvertierte Person Zeit allein verbringt. Allein, in einer vertrauten Umgebung, gibt es deutlich weniger (neue) Eindrücke. Man spricht dann von einer geringen Stimulation. Es treffen weniger neue Päckchen im Verteilungszentrum ein und die Mitarbeiter können sich die Zeit nehmen diese in Ruhe zu bearbeiten. Außerdem haben sie die Möglichkeit liegengebliebene Arbeit zu beenden.

Eine bekannte Umgebung ist auch immer von Vorteil für introvertierte Menschen. Die Mitarbeiter kennen diese Päckchen schon gut und wissen genau, wo diese hin müssen. Deswegen erholen sich Intros am liebsten und besten in ihrem eigenen Zimmer, ihrer eigenen Wohnung oder an einem Lieblingsort, den sie oft aufsuchen und gut kennen.

Ein introvertierter Mensch ist, wie ein Akku – er lädt seine Energie im Ruhezustand, ohne Impulse von außen, auf.

Überstimulation

Bleiben diese ruhigeren Pausen aber aus, und die stressige Zeit hält an, kommen die Arbeiter irgendwann nicht mehr hinterher. Es werden immer mehr und mehr Päckchen. Der Ankunftsstapel wächst und wächst.

Mehrere verschieden große Pappschachteln aufeinandergestapelt.

Dieser Zustand ist purer Stress für einen Introvertierten und der Körper reagiert unmittelbar darauf: Zum Beispiel mit Kopfschmerzen, Konzentrationsverlust und/oder einem dringenden Drang zur Flucht. Um sich zurückzuziehen und in Ruhe all die Päckchen abzuarbeiten.

Man nennt diesen Punkt oder Vorgang Überstimulation. Überstimulation ist, wenn mehr Eindrücke auf einen einprasseln als man in dem Moment verarbeiten kann.

Die genaue Reaktion darauf, ist natürlich bei jedem Introvertierten unterschiedlich und kann sich auch von Situation zu Situation unterscheiden. Ich beschreibe drei dieser Reaktionen auf Überstimulation, so, wie ich sie erlebe.

Ich weiß von anderen Intros und von Social Media, dass viele Introvertierte diese Reaktionen so oder so ähnlich kennen. Die genaue Beschreibung kommt allerdings aus meiner ganz persönlichen Erfahrung. Weil ich natürlich nicht für alle Introvertierten sprechen kann aber vor allem, weil genaue und persönliche Beschreibungen meist am verständlichsten sind. Und das ist es, was ich möchte: Konkret und nachvollziehbar erklären. Schreib mir gerne, ob ich das geschafft habe 🙂

Herauszoomen

Ich nenne das jetzt einfach Mal herauszoomen. Und das ist ganz wörtlich gemeint. Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen so an, als würde mein Geist sich für einen kurzen Moment rauszoomen. Oder, als ob jemand eine Blende zwischen meinen Geist und das Geschehen ziehen würde. Ich gewinne etwas Abstand dazu, fühle mich, als wäre ich kurz herausgezogen aus allem, als würde ich geistig einen Schritt zurücktreten.

Das ist meist nur ein kurzer Moment, wenige Sekunden, in denen ich so abwesend bin, bevor ich mich wieder fokussiere. Aber es ist ein Zeichen, dass die Situation gerade ziemlich anstrengend für mich ist. Es kommt gerade ein großer Stoß Päckchen im Postverteilungszentrum an, und mein Körper bittet mich, eine kurze Pause einzulegen.

Dafür reicht in einigen Situationen schon ein längerer Besuch auf der Toilette. Bei Abenden mit Freunden oder kleineren Feiern hat es sich auch als gute Taktik herausgestellt beim Küche-Aufräumen zu helfen. Nicht weil ich so gerne Geschirr abspüle, sondern weil die Küche in den meisten Fällen abgetrennt ist von dem Raum, in dem sich die meisten Leute aufhalten. Ich bekomme ein bisschen Ruhe und bin meistens nur mit einer weiteren Person zusammen. Meine Antennen haben dort deutlich weniger aufzufangen und ich bin einfach kurz raus aus dem großen Geschehen.

Am besten ist es natürlich, wenn ich Zuhause bin: Dann ziehe ich mich einfach eine Weile in mein Zimmer zurück.

Introvertierte nehmen oft viele Eindrücke in sich auf. Außerdem sind Situationen, die für Extrovertierte energetisierend wirken, für Intros sehr energiezehrend. Ein Treffen mit mehreren Freunden zieht also ganz schön an der Energie – auch wenn die introvertierte Person grundsätzlich Spaß daran hat.

Shutdown

Ein Shutdown ist quasi Stufe zwei. Das Herauszoomen ist ein Hinweis meines Körpers aber ich kann ihn auch übergehen, wenn ich möchte. Vielleicht kann man es als kurzen Moment beschreiben, den sich die Arbeiter nehmen, um einen großen Stapel vom Eingang wegzuschieben. In den Später-Bearbeiten-Raum.

Dagegen wäre ein Shutdown der Punkt, an dem dieser Raum schon voll ist und der Alarmknopf gedrückt wird.

Manchmal passiert das ganz unerwartet. In einem Moment rede ich noch mit einer Person, vielleicht sogar mit jemandem, den ich gerne mag. Wir unterhalten uns gut, ich fühle mich wohl und plötzlich macht es Zack – und etwas verändert sich abrupt in mir. Ich habe plötzlich ein dringendes Bedürfnis danach mich zurückzuziehen. Ich möchte so schnell, wie möglich, aus der Situation rauskommen und allein sein.

All die Freude, die ich vorher bei dem Gespräch empfunden habe, ist plötzlich weg und ich fühle mich distanziert von der Person. Als wäre eine Glaswand zwischen uns hochgezogen worden. Mit großer Geschwindigkeit und einem lauten Knall rastet sie ein und trennt mich von meinem Gegenüber ab. Und dieses Gefühl ist verknüpft mit einem dringenden Bedürfnis zur Flucht.

Das ist für mein Gegenüber oft sehr verwirrend und abrupt. Gerade war noch alles gut und dann will ich plötzlich nur weg. Das ist aber überhaupt nicht böse gemeint und auch nicht gegen dich als meinen Gesprächspartner gerichtet. Es heißt nicht, dass ich dich nicht mag, oder, mich in deiner Nähe nicht wohlfühlen würde.

Aber manchmal scheint meine Intro-Energie sehr schnell und sehr plötzlich anzuzeigen, dass mein Akku nur noch bei 15% ist. Und ich sie – wie beim Handy – gleich sofort wieder laden sollte. Denn die letzten Prozent gehen irgendwie immer schneller weg als die vorherigen 75%. Und dann wird es plötzlich ganz dringend.

Kann ich das kommen sehen?

Ein Shutdown kommt meist nur mit geringen Anzeichen für mich. Ich merke, wie meine Konzentration ganz langsam nachlässt. Ich denke an einen Rückzugsort. Und zack, plötzlich geht es ganz schnell. Manchmal bemerke ich die Anzeichen selbst nicht und es kommt auch für mich total überraschend.

Aufhalten kann ich einen Shutdown nicht. Es passiert einfach. Wenn ich mich jedoch in einer wichtigen Situation befinde, ist es möglich, dass ich trotzdem dabeibleibe. Damit stelle ich mich kräftig und bewusst gegen meinen Instinkt. Das ist schwer – aber möglich. Danach brauche ich aber definitiv eine längere Pause.

Ein Mann mit schwarzen kurz geschorenen Haaren, Dreit-Tage.Bart und leicht dunklerer Haut sitzt inmitten eines Stapel voll brauner Pappkisten und meditiert. Im Hintergrund sieht man ein weißes Fenster mit grauen, schweren Vorhängen

Beim Herauszoomen spüre ich häufig schon ein bisschen davor, wie ich müder werde, mich schlechter konzentrieren kann oder meine Umgebung kommt mir kurzzeitig sehr laut vor.

Das Herauszoomen ist ein Zeichen dafür, dass ich eine kurze Rückzugspause brauche, da meine Energie nachlässt. Irgendwann brauche ich die Pause. Aber ich kann sie noch gut hinauszögern – definitiv mehr als bei einem Shutdown. Trotzdem sollte ich es natürlich schon wahrnehmen und mich bei der nächsten Möglichkeit kurz zurückziehen. Häufig reicht eine kurze Pause schon aus, um wieder ein paar Prozent aufzuladen.

Für die tiefergehende Regeneration (um quasi wieder auf 100% Akkuleistung zu kommen), nehme ich mir einen der nächsten Tage und verbringe ihn allein mit typischen Intro-Aktivitäten.

Und wenn die Überstimulation stärker ist?

Das sind zwei Zeichen, die mir eine Überstimulation anzeigen. Beide sind natürlich ernst zu nehmen, können aber in wichtigen Situationen auch Mal übergangen werden. Eine kurze Pause reicht aus, um weitermachen zu können. Eine längere Regenerationspause kann auch noch um ein paar Tage verschoben werden.

Aber was passiert, wenn die Überstimulation so richtig stark ist?

Wenn ich keine Pause machen kann?

Wenn die Intro-Batterie komplett aufgebraucht ist?

Das liest du in Teil zwei dieser Serie: Warum Ruhepausen für Intros so wichtig sind – Das Introvert-Hangover

Wenn du auch introvertiert bist, schreib mir super gerne, ob du auch manchmal ein Herauszoomen oder einen Shutdown erlebst! Und an die Extros: Kennt ihr für euch Vergleichbares?


Bildrechte: Titelbild von Pixabay; Stapel Pakete von Artem Podrez; Mann sitzend zwischen Kisten: Cottonbro,

Quellen: Leise Menschen – starke Wirkung: Wie sie Präsenz zeigen und Gehör finden von Sylvia Löhken (2015); @hej.holy (Begriff Introvert-Hangover), eigene Beobachtungen und Erfahrungen

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